

Warum dieses Netzwerk?
(…) Aber der übliche Mathematikunterricht langweilt nicht nur, er unterfordert vor allem die Intelligenz der Schüler. Es scheint eine fixe Idee der Pädagogik zu sein, daß Kinder nicht in der Lage sind, abstrakt zu denken. Das ist natürlich ein reiner Köhlerglauben. Eher ist das Gegenteil richtig. Der Begriff des unendlich Großen und des unendlich Kleinen beispielsweise ist jedem Neun- oder Zehnjährigen intuitiv unmittelbar zugänglich. Viele Kinder sind ausgesprochen fasziniert von der Entdeckung der Null. Was ein Grenzwert ist, kann man ihnen durchaus erklären, und der Unterschied zwischen konvergenten und divergenten Folgen leuchtet ihnen ohne weiteres ein. Viele Kinder zeigen ein spontanes Interesse an topologischen Problemen. Selbst mit elementaren Fragen der Gruppentheorie oder der Kombinatorik kann man sie amüsieren, wenn man sich ihren angeborenen Sinn für Symmetrie zunutze macht, und so weiter und so fort. Wahrscheinlich ist ihre Aufnahmefähigkeit für mathematische Ideen überhaupt größer als die der meisten Erwachsenen; diese nämlich haben den üblichen Bildungsgang bereits hinter sich gebracht. Von den Beschädigungen, die sie dabei erlitten haben, werden sie sich in den meisten Fällen nie wieder erholt haben. (...)
aus: Hans Magnus Enzensberger: Zugbrücke außer Betrieb, FAZ 29.08.1998.